20 Sep 2015

Meine Selbständigkeit und ich – ONS, Lebensabschnittsgefährte/in oder für einander bestimmt?

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Runkelrüben und anderes Unkraut – von Stellenausschreibungen zur Job-Selbständigkeit

Personaler/innen beklagen sich oft über die mangelnde Qualität von Bewerbungen, dabei gibt es auch richtig miese Stellenanzeigen. Was genau wollen die von mir? Welche Aufgabe habe ich auf der Stelle? Und welche Rolle spielt das Ganze innerhalb des Unternehmens? Fragen, die man sich vor der Bewerbung stellt, gerade um ein treffsicheres Motivationsschreiben abzuliefern.

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Manches Mal bleiben Stellenanzeigen offen oder verschanzen sich hinter Floskeln und Gemeinplätzen („Sie sind ein Überflieger?“ oder „Belastbarkeit, Teamfähigkeit und Flexibilität vorausgesetzt“ etc.). Herausragend schlechte Personalmarketing-Maßnahmen werden – ob gewollt oder nicht – zwangsprämiert von der „Goldenen Runkelrübe“. In der Rubrik „die abschreckendste Stellenanzeige“ finden sich hier selbst von renommierten Unternehmen katastrophale Ausschreibungen – so viel zur Wertschätzung der Job-Bewerber/innen. Während so Manche/n eine tolle Produkt-Idee zu Selbständigkeit treibt, tut es in andere Fällen genau das hier: Keine Lust darauf, ein kleines Rädchen in einem Unternehmen zu sein, das nicht einmal weiß, wozu es mich braucht!

„Ein/e Unternehmer/in ist bereit, Risiken einzugehen, um Ideen, die in seinem/ihrem Kopf geboren sind, mit Leidenschaft zu realisieren.“

Nachdem ich diese Zeilen über „Unternehmergeist“ gelesen hatte, dachte ich zuerst: „Ach, so?! – Eine alleinerziehende Mutter oder ein tibetanischer Mönch also auch!“ Im Unterschied zum Stereotyp des anonymen Großbetriebes geistert die EPU-Selbständigkeit mit Attributen von Antibürokratie, Dynamik und Flexibilität herum, fern ab von schwerfälligen Hierarchien. Die Glorifizierung der „Startups“ als dynamische Durchstarter/innen mit riesigem Wachstumspotenzial geht aber an der Wirklichkeit vorbei, in der die allermeisten doch klein bleiben, keine sicheren Vollzeitarbeitsplätze oder wertschöpfende Synergien wie im Silicon Valley generieren.
Oft gewinnt nicht einfach die beste sondern diejenige Idee, die sich aufgrund langwieriger Marktanalysen und teuer Entwicklungstests aufwändig herauskristallisieren durfte – für die „kleineren“ eher unerschwinglich. Also, immer noch das „Unternehmer/innen-Gen“ beim Berufswunsch dominierend?

Entrepreneuer, bin ich das? – Selbst- ist noch lange nicht Eigenständigkeit

Angestelltendasein, Selbständigkeit und Unternehmertum sind heutzutage immer schwerer zu differenzieren, zumal die Begrifflichkeiten oft ineinander übergehen und sich mit anderen Erwerbs- und Lebensformen überlappen. So sind Einige gleichzeitig selbständig, arbeiten an einem kleinen Unternehmensprojekt mit und besitzen eine Art (zuwenigst teilzeit-) angestellten „Broterwerb“. Es zählen Viele sich nominell (auch) zu einem der über 250.000 EPU in Österreich, obwohl dahinter ganz unterschiedliche Modelle stecken können:
Ein Ein-Personen-Unternehmen ist schlicht einfach und günstig zu gründen, unbeachtet der tatsächlichen Unternehmensstruktur mit oft vielen Stakeholdern. Für die Statistik mag es eine der über 35.000 Neugründungen allein im WKO-Bereich pro Jahr sein (Tendenz steigend), für Einzelunternehmer/innen ist es erst einmal nur der eigene, neue Arbeitsplatz – und selbst dieser wurde erfunden! „Gründer“ klingt erst mal super, unterstellt man damit doch gerne, es gebe einen (wirtschaftlich hinreichenden) „Grund“ dafür, die neue Firma stehe auf (festem) „Grund“ und alles sei weithin „gründlich“ durch Businesspläne und Gründungscoachings vorbereitet.

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Bei Vielen aber folgt die Gründungslogik keinem „Unternehmergeist“ sondern schlicht aus der Not der (drohenden) Arbeitslosigkeit oder der Flucht aus der Unverstandenheit und Enge der Nine-to-Five-Logik heraus – das ist nicht ethisch verwerflich, sondern die Wahrheit. Vielfach könnte dieselbe Leistung unter einem anderen „Mascherl“ erbracht werden, sei dies über Werkvertragskonstruktionen oder „freie Dienstverträge“ („frei“ ist hierbei vor allem der/die Dienstgeber/in, vornehmlich von arbeitsrechtlichen Schutzpflichten).
Mein vorheriger oder vermeintlicher Chef mutiert dadurch fesch zur/m B2B-Kunden/in, lagert aber oft nur sein unternehmerisches Risiko für einzelne Produktionsschritte auf mich aus. Selbstverwirklichungs- und Unabhängigkeitsgrad unterscheiden sich in diesem Zusammenspiel von Zulieferung, Outsourcing und vorgefertigten Honorarnoten-Gutschriften nicht essentiell vom Angestelltendasein.

Persönlichkeit Arbeitstier oder Business(wo)man? – It’s all up to me!

Selbständige lieben ihre Unternehmensidee und brennen dafür; manchmal grillen sie sich sogar selbst im ewigen „Elevator Pitch“-Abrufstatus. Der daran richtige Grundgedanke, dass Jede/r ohne Stottern prägnant und verständlich sagen können sollte, was er/sie in seiner Selbstständigkeit eigentlich Tolles tut, was den eigenen USP ausmacht (wird oft überschätzt) und wer die Zielgruppe ist (wird oft unterschätzt), treibt manchmal seine pervertierten Blüten.
Eine Small-Talk-Antwort auf der Party kann da ungewollt zum Unternehmertier-Gebrüll mutieren, die Hochglanzvisitenkarte schon wie den Colt gespannt im Anschlag… Es gibt wirklich Mitmenschen, die ohne jeden Business-Hintergedanken nachfragen, weil sie einfach interessiert sind – echt wahr!

Als (hin-) eingeborener Teil unseres christlich-abendländischen Kulturkreises flüstern mir sündigem Mangelwesen der Schöpfung meine Glaubenssätze subtil ein, es sei nie genug sondern könne immer noch besser und mehr geleistet werden. Leistung ist gleich Arbeit pro Zeit, nur dass gesellschaftlicher Wert sich schlecht physikalisch auf Matura-Lernformeln stutzen lässt. Der innere Erfolgsdruck beginnt manchmal nicht nur morgens im Bett beim Checken der Business-Emails am Laptop, lange bevor die aufgezogenen Vorhänge mir künden, ob die ORF-Vorhersage (wieder nicht?) stimmt.

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Angezählt in der Rechtfertigungsecke von Rentabilität und Größe, können beide Indikatoren für Erfolg sein, müssen es aber nicht. Bin ich selbständig, stehen unternehmerischer und persönlicher Erfolg noch enger beieinander als im Angestelltendasein. Ich mache es ja, weil ich es mir ausgesucht habe und kann all das jederzeit ändern oder ganz lassen. Ausreden á la „Chef geht mir heute am A…“ sind schwierig, bin das doch ich selbst. Feierabend-Gesuder nach dem Motto „Arbeitsplatz doof!“ verfängt nicht, wenn ich doch prinzipiell arbeiten kann, wo ich will, vom EPU-Gemeinschaftsoffice bis hin zum mobilen Laptop auf der Decke in der Praterwiese.

“Hey entrepreneur, wanna marry me?“ „Ähm, puhhh…“ – die Zwei-Stühle-Übung

Zwangsheiraten sind selten eine gute Sache, mögen sich auch historisch viele Herrscherdynastien über die Zeit geholfen haben, bis die biologische Degeneration unerbittlich zuschlug. Sicher, einige vermählen sich aus Liebe, die anderen heiraten aus Geldnot. Letztlich muss es aber immer eines: Für beide passen.
Dazu kann man z.B. unseren Kurs „(M) ein Job – Erfolg oder Zufall?“ besuchen, oder sich seine Arbeit – gleich ob angestellt, verbeamtet, selbständig oder dazwischen – als Person vorstellen, die mit mir viel Zeit am Tage zusammen sein darf. Wie würde sie ausschauen (männlich/weiblich/mehrgeschlechtlich? Welche Kleidung? Was für ein Gesichtsausdruck?)? Würde sie mit mir kumpelhaft auf ein Bier gehen, sich bei einem Bio-Tee ausquatschen wollen oder den ganzen Sonntag durchbrunchen? Sind wir „füreinander“ da und „funktioniert es“ momentan zwischen uns? Wenn Dinge unausgesprochen geblieben sind (Was stört? Was hat sich einfach anders als geplant entwickelt?), kann man das sich selbst z.B. mit der sog. „Zwei-Stühle-Übung“ veranschaulichen – wer unterhält sich schon gerne mit einer/m imaginären Verlobten?!

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Dabei kann ein Stuhl, Sessel oder ein umgedrehtes Bierkisterl z.B. die Stimme meiner (gewollten) Selbständigkeit repräsentieren, die sich personalisiert mit mir unterhält. Wie ein kranker Fuß dem Körper durch Schmerz anzeigt, wenn etwas nicht stimmt, spreche ich in der Rolle des Selbständigkeitsstuhls z.B. etwa aus, was gerade nicht so toll ist oder wie ich mir anderes besser vorstellen könnte. Gleiches gilt für den Fall, dass ich die entspannende Empfindung einer Fußzonenreflexmassage lächelnd nach oben melden möchte.
Noch intensiver klappt die Rollentrennung dann, wenn man tatsächlich jeweils auf dem zugedachten Stuhl Platz nimmt beim lauten Vortragen des jeweiligen Arguments oder Gefühls (und dann die Gegenperspektive einnimmt, sprich: den Stuhl wieder wechselt). Macht man das in der U-Bahn, kann es trotz innerlichen Erkenntnisfortschritten Irritationen bei Fahrgästen auslösen; zuhause am Küchentisch funktioniert die Übung übrigens genauso gut!

Ob bei der Unternehmensgründung mit Business-Plan und Finanzierungsmodellen oder einfach beim Schritt zum selbständigen Betreiben einer Internetseite mit Gewinnabsicht in ferner Zukunft: Ich sollte mich fragen, ob ich der „Typ“ dafür bin (auch hier gibt es mehr als den klassischen „Full-Business-Macher/in“), ob die Welt meine Idee braucht (Bedürfnis) und dafür zahlt (Bedarf) und – ganz wichtig – wo meine persönlichen Schmerzgrenzen sind!
Was tue ich mir alles an dafür (nächtelang am PC sitzen, um die Umsatzsteuer fertig zu machen? Erreichbarkeit am Handy für Kunden/innen-Notfälle am Wochenende?) und welchen „Plan B“ gibt es (ja, das darf man, ohne gleich Schwäche zu zeigen á la „Du glaubst nicht genug an dich!“)?

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Bei Start-Unsicherheiten eignet sich das Zwiegespräch über die „Zwei-Stühle-Übung“ hier ebenso wie bei der Frage, ob ein Wechsel oder gar ein Aufhören sinnvoll ist. Hat man eine Vertrauensperson, kann diese sich (ohne Kommentar) das Zwiegespräch anhören und später als Beobachter/in berichten, welcher Stuhl wie auf sie wie gewirkt hat. Das kann nicht nur deinen subjektiven Eindruck beleuchten sondern rundet als „echtes Gespräch“ die rein innere Kommunikation ab. Auf jeden Fall zum Abschluss sollte man von jedem Stuhl aus symbolisch danken, sich verabschieden und die Stühle wieder zurückstellen.

Probieren Sie es aus!