27 Mrz 2020

Persönliche Veränderungsstürme – Not, Übel oder Einstellungssache?

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Corona-Chance – pandemische Kraft positiver Denkräume?

Corona hier, Corona, da – und (fast) überall wird die Krise als Chance betont, sich Dingen zu widmen, für die man sonst eher selten Zeit hat, als Zeichen des Zusammenhalts oder der (digitalen) Weiterentwicklung aufgrund von Social Distancing… So weit, so positiv – zeigen doch auch Studien, das lebens- und zukunftsbejahende „Das-Glas-ist-halbvoll“-Einstellungen nicht nur in Krisenzeiten persönlich zufriedener machen und generell offenere Gesellschaften fördern. Statt sich als frustrierte Geisel des Schicksals selbigem zu fügen, belässt mir dies (wenigstens) die Macht, die Sicht auf die Welt kraft meiner Gedanken zu beeinflussen.

Dass diese Grundhaltung gerne eine Mahnung dergestalt impliziert, dass negative Gefühle, Unwohlsein, Unsicherheit und Niedergeschlagenheit – was zweifelsohne zum Menschsein dazugehört und lehrreich ist – noch nicht genügend „weg-positiviert“ wurden, wird oft vergessen. Der Druck, positiv für sich und alle zu Denken, kann umgekehrt leicht dazu führen, sich Vorwürfe zu machen, als Schwarzseher/in oder Miesepeter/-petra in der Community dazustehen, unerwünschte Emotionen nur ineffizient zu unterdrücken oder sich die Realität nicht schnell genug schön genug vorzustellen.

 

Veränderungsbereitschaft durch Ansage – Stay focused for change!

Etwas Positives zu erkennen und damit konstruktiv umzugehen, setzt die Bereitschaft dazu voraus. Beim Umgehen mit Veränderungen mutet dabei anstrengend nicht zwingend die Anpassung an die neue Situation an – Menschen sind anpassungsfähig, sehr zur Freude von Systemen, die dies ausnutzen. Vielmehr ist es oft schon zuvor die Situation, sich in einer bestimmten Art und Weise und zu einer bestimmten (Un-) Zeit damit auseinandersetzen zu müssen.

Auch hier hat der Zeitgeist wenig Mitleid mit uns, denn dieser entspricht dem Wandel von der neoliberalen Leistungs- hin zur Potentialgesellschaft: Reine Outputs zu erzielen geziemt inzwischen weder den Akkordarbeitern/innen im Schichtdienst noch den Top-Managern/innen mit überzahlten All-in-Verträgen. Der vorausgesetzte Veränderungswille, die ständige Bereitschaft zur Bereitschaft verlangt Prognostisches. Der Hype um das Verlangen nach Optimierung und Wachstum – beruflich, persönlich und auch sonst – forciert das Denken in Potentialen. Wer sich zu verändern trachtet, will sich verbessern und stünde ansonsten still, lautet die simple Gleichung. Wer etwas erreichen möchte, hat kein Problem damit, mutig Neues auszuprobieren und Risiken einzugehen. Und wer alle seine Schätze bergen mag, trachtet danach, alle unentdeckten Talente aus sich heraus zu kitzeln, aber ohne zu lachen. Von High Potentials ist die Rede bei Menschen, die wir für Großes vorgesehen haben, in Serien wie „Das Supertalent“ wird nur für spannend befunden, was jemand an besonderen Skills prostituiert, und Business-Ideen bei „Die Höhle der Löwen“ oder „2 Minuten, 2 Millionen“ haben entweder Potential, ausgeschlachtet zu werden oder sind es nicht wert, weiterverfolgt zu werden…

FoMo (sog. „Fear of missing out“) ist längst über Social Media hinaus gewuchtert, wo du den viralen Post schon längst einfach lesen, kommentieren und teilen musst, um dabei zu sein und mitreden zu können. Früher musste man Arbeitgebern/innen oder dem Arbeitsamt noch Argumentationen liefern, weshalb man die ein oder andere Weiterbildung braucht. Heute wird man sofort in die Fortbildung als Allheilmittel geparkt, wirkt „Lifelong Learning“ mehr wie eine Drohung, der geringen Halbwertszeit von Wissen andauernd eigenverantwortlich entgegenwirken zu sollen, und steht Weiterbildungsbereitschaft in fast jeder Stellenausschreibung. Die Einstellung zu alldem wird vorausgesetzt. Wanna be part of their game? – Play it according to their rules!

 

Die nächste Lebensstufe erklimmen – ohne Rundblick vom Panorama-Rastplatz?

Jede Lebensstufe ist an sich zeitlich begrenzt wie das Leben (derzeit noch) selbst, weshalb der Mensch gar nicht anders kann, als sich weiterzuentwickeln. Die Frage bleibt allein, ob er das ständig können muss, wofür zu gerne ein bekanntes Zitat aus H. Hesses Roman „Das Glasperlenspiel“ herangezogen wird – nämlich als der Protagonist Knecht schmerzlich Abschied von seinem Amt nimmt: „…Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben…“ Verzaubert werden kann aber nur Der/Diejenige, welche/r das auch möchte und mitmacht. Setzt man das Zitat wieder in den ursprünglichen Kontext des Gedichts „Stufen“ aus dem Jahr 1941 (es hieß zu Beginn „Transzendieren!“), dann wird vieles klarer:

 

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

 

Gemeint ist hier nichts anderes als die natürliche Weiterentwicklung, die man akzeptieren und sich darauf einstellen sollte. Das sagt jedoch nicht aus, dass es zum Leben gehört, fortwährend in Veränderung zu leben und diese zum bestimmenden Motor von allem zu befördern. Vielmehr ist Veränderung nur per se nichts Schlimmes sondern zum Leben zugehörig, wie es ähnlich auch F. Nietzsche in „Menschliches, Allzumenschliches“ formuliert (Nr. 638: Der Wanderer):

 

...kann sich auf Erden nicht anders fühlen denn als Wanderer, – wenn auch nicht als Reisender nach einem letzten Ziele: denn dieses gibt es nicht. Wohl aber will er zusehen und die Augen dafür offen haben, was alles in der Welt eigentlich vorgeht; deshalb darf er sein Herz nicht allzufest an alles einzelne anhängen; es muß in ihm selber etwas Wanderndes sein, das seine Freude an dem Wechsel und der Vergänglichkeit habe….

Wer ich bin? – Das verändert sich (ständig)

Mit welcher Einstellung aber Veränderungen begegnen? Statt sich mitten in jeden Veränderungstornado zu begeben, um resilient das windstille Auge zu erreichen, kann man auch in den Bunker gehen, den Keller aufsuchen oder in einer Erd-Mulde dessen Vorüberziehen abwarten – auch wenn man damit kein heldenhaftes YouTube-Video kreiert. Folgt man dem Pantheisten B. de Spinoza ist es viel wichtiger, sich selbst und das, was da ist, zu verstehen und weiterzuentwickeln, statt sich zu verändern. „Begierde“, so schreibt er, „ist des Menschen Wesen“. Er meint damit aber nicht die ständige menschliche Selbstoptimierung sondern das Bestreben jedes Wesens, in seinem Sein zu verharren (lat. „Conatus“). Nach diesem Ansatz stoischen Ursprungs beinhaltet das, herauszufinden, was uns nach Spinoza „Glückseligkeit“ verschafft, damit wir überhaupt wir selbst sein können. Ähnlich der Psychoanalyse geht es also nicht darum, sich niemals zu verändern oder anzupassen, sondern darum, nicht ständig Symptome heilen zu wollen á la: „Mir fehlt digitale Kernkompetenz in diesen Zeiten, also muss ich das nachholen, um konkurrenzfähig zu bleiben!“ Oder: „Heutzutage wird alles zunehmend interkultureller, globalisierter und agiler, ergo muss sich meinen klassischen Arbeitsstil sofort ändern, um da mitzuhalten!“ etc. Gemeint ist, sich treu zu bleiben und seinem Begehren zu folgen, oder vielleicht zunächst überhaupt einmal darauf zu hören.

Nicht Jede/r wird in der Corona-Krise zum/r „Alle-helfen-einander“-Team-Altruisten/in und nicht alle mutieren zum Digital Native, nur weil die technischen Möglichkeiten da sind oder „Social Distancing“ (besser: „Physical Distancing“) gefordert ist. Nicht Jede/r will den Erlebnis-Abenteuer-Urlaub, den niemand anderer hat, und nicht alle werden Umweltaktivisten, die bio, regional und nachhaltig einkaufen. Sich verändern in diesem Sinne ist also nicht auf den ständigen Wandel nach außen aufzuspringen, sondern der Versuch, sich stets im Inneren (wieder) zu erkennen und neue Facetten an sich zu entdecken! Es geht darum, den eigenen Weg zu definieren, konsequent weiterzuverfolgen und selbst dann noch durchzuhalten, wenn Viele es anders machen, besser wissen oder der Trend gerade woanders hinzeigt.

M. T. Cicero (1. Jhrdt. v. Chr.) sagte sinngemäß, dass die eigene Seele erst wie ein Acker urbar gemacht werden, d. h. kultiviert werden müsse, um pralle Früchte zu tragen. Sie müssen nicht das Superfood wie den indischen Meerrettichbaum („Moringa“), die hippen Chia-Samen oder die vitaminreiche Goji-Beere anbauen, wenn Ihnen Bohnen und Tomaten einfach besser schmecken – Sie werden an sich selbst satt und gesund bleiben!